Skip to content

Interview mit Dr. Sebastian Muschter

Wir sollten weniger in klassischen Häuserstrukturen denken und stattdessen ministerienübergreifende Projektgruppen einsetzen

Sebastian ist Experte für Verwaltungstransformation. Aktuell ist er CEO bei adelphi, einem Beratungsunternehmen für Umwelt, Klima und Entwicklung. Zuvor war er Mitglied der Geschäftsleitung der PartnerschaftDeutschland (PD), kommissarischer Präsident des Berliner Landesamts für Gesundheit und Soziales sowie Managing Partner, Berlin bei McKinsey. Kürzlich hat er seine Erfahrungen aus der Arbeit mit Behörden im Bund, den Ländern und Kommunen in 10 Thesen zur Zukunft der öffentlichen Verwaltung in Deutschland veröffentlicht.

Im Gespräch mit Benedikt erzählt er, wie eine zukunftsfähige Verwaltung aussehen kann, warum heilige Kühe und zerstückelte Elefanten die Verwaltungstransformation behindern, warum Zentralisierung und Transparenz für die Digitale Transformation zentral sind und warum sich Olaf Scholz eine Scheibe von erfolgreichen Konzernvorständen abschneiden sollte.

Teilen

Takeaways aus dem Gespräch

  • Smarte Zentralisierung steigert Verwaltungswirkung und spart Kosten
  • Bürgerservice bedeutet Wirkungsorientierung – anstelle von blindem Föderalismus und Ressorthoheit
  • Transparenz und Qualitätssiegel führen zu besserer Qualität von Verwaltungsleistungen
Foto: adelphi

Politiker sollten klare Ziele formulieren

Benedikt: Die Agora Digitale Transformation arbeitet daran, die Demokratie in der digitalen Transformation zu stärken. Mit dem E-Valuate Projekt fokussieren wir uns auf Wirkungsorientierung der Ministerialverwaltung als wichtige Säule der Demokratie. Klassischerweise gibt die Politik Ziele vor und die Verwaltung setzt sie um. Zahlreiche Menschen verlieren aber mehr und mehr das Vertrauen in die Politik und die öffentliche Verwaltung, also in die Leistungsfähigkeit des Staates. Das nutzen populistische Parteien für sich. Sebastian, du hast dich in deiner Karriere intensiv mit Reformen der deutschen Verwaltungslandschaft beschäftigt, zahlreiche Projekte umgesetzt und unterschiedlichste Institutionen beraten. Verhindert ein leistungsfähiger Staat den Populismus?

Sebastian: Umgekehrt stimmt es sicher – ein überforderter Staat fördert den Populismus. Anders herum sind die Zusammenhänge meiner Meinung nach nicht so einfach. Es gibt ein erhebliches Kommunikationsgap zwischen dem, was Politik und Verwaltung wirklich leisten, und dem, was davon bei vielen Bürgern ankommt. Die Menschen erleben Politik oft nur auf der Ebene des Alltags und es zählen nur die Fehler – schlechte Straßen, überfüllte Behörden, lange Kita-Schließzeiten. Da sind die großen politischen Linien, was im Bundesministerium gemacht wird, weit weg; alle Entscheidungen brauchen Jahre, bis sie unten ankommen.

Wenn du wirklich durch Verwaltungsverbesserungen gegen den Populismus arbeiten willst, dann ist das eine langwierige und oft auch undankbare Geschichte – gesät wird jetzt, ernten tun nachfolgende Politikergenerationen. Doch die Alternative – nichts tun – ist keine; sie ruft erst recht die Populisten auf den Plan. Dann bekommen wir vielleicht einen deutschen Elon Musk, der die Verwaltung nicht transformieren, sondern mit dem Flammenwerfer einebnen will und dabei auch gleich den Rechtsstaat in Asche legt.

Deswegen: Politiker sollten klare politische Veränderungs-Ziele für Staat und Verwaltung formulieren, auf Grundlage der Bedürfnisse der Bevölkerung, etwa zur Daseinsvorsorge in ländlichen Gebieten. Gleichzeitig muss die Umsetzung von politischen Entscheidungen durch die Verwaltung evidenzbasiert, effizient und serviceorientiert sein – und VIEL schneller passieren. Das „Wie etwas gemacht wird“ muss stimmen.“

Benedikt: Es muss also die Qualität gesteigert werden, wie die Verwaltung politische Ziele umsetzt?

Sebastian: Ich denke schon. Wir müssten stärker kontrollieren und bewerten und zwar von außen – Modell „PISA-Schock“. Servicestandards und externe Prüfungen durch Rechnungshöfe, OECD, EU, TÜV oder die Stiftung Warentest könnten helfen, die Leistungen der öffentlichen Verwaltung besser zu machen. Wir müssen transparent machen, wenn Schulen oder Behörden objektiv schlecht abschneiden. Dann entsteht Druck zur Verbesserung. Diese Transparenz könnte durch gesetzliche Verpflichtungen geschaffen werden, etwa indem Verwaltung dazu gezwungen wird, ihre Leistungserbringung öffentlich zu vergleichen mit extern definierten Standards.

Benedikt: Zusammengefasst könnte man sagen, wir brauchen eine öffentliche Verwaltung, die wirkungsorientiert und transparent arbeitet?

Sebastian: Einer der größten Hebel, um die Verschwendung von Steuergeldern zu reduzieren, liegt meiner Meinung nach in der geschickten Zentralisierung von Verwaltungsstrukturen. Anstelle von ineffizienten, dezentralen Systemen – jeder erfindet das Rad neu - könnten wir durch Bündelung und den Einsatz moderner Technologien Betrug und Mitnahmeeffekte minimieren sowie Prozesse optimieren. Dass das funktioniert, sehen wir bei zentralen nationalen Dienstleistern wie der Familienkasse. Ich erinnere mich auch an das Bildungs- und Teilhabepaket, bei dem es um 150 Euro pro Kind für Nachhilfe ging. Die Bundesagentur für Arbeit schätzte, dass für die Verwaltung 1.100 zusätzliche Stellen an zentraler Stelle notwendig wären, um das Programm deutschlandweit umzusetzen. Wir haben dann Monate später hingeschaut - die dezentrale Umsetzung wurde mit 2.300 neuen Stellen doppelt so aufwendig. Das zeigt die Ineffizienz dezentraler Systeme – ist aber nie öffentlich geworden, weil versteckt in 400 Landkreisen.

Ein "Ältestenrat" für die Verwaltung

Benedikt: Indikatoren für Wirkungsorientierung und Wirkungsmessung sind vor allem während der Umsetzung wichtig, um Transparenz herzustellen und zu lernen, ob man erfolgreich ist oder nicht. Was könnten ein Anreiz für Ministerien sein sich da transparenter und messbarer zu machen?

Sebastian: (zuckt mit den Schultern) In einem parlamentarischen System sind die Anreize einfach so, dass die Regierungsfraktionen jede Zielerreichung großartig finden, und die Opposition findet jede Zielerreichung schrecklich. Für die einen ist das Glas immer ein bisschen leer, für die anderen ist es immer hinreichend voll. Ich glaube aber, dass es Indikatoren gibt, die unpolitisch sind. Du könntest wahrscheinlich einen überparteilichen Konsens finden, dass die Krankheitstage in der Verwaltung runter müssen, dass die Projektfähigkeit in der Verwaltung gesteigert werden sollte, dass die Verfügbarkeit von wichtigen IT-Leistungen möglichst hoch sein sollte und die Empfindlichkeit für Cyberangriffe möglichst niedrig. Dann müsstest du einen Mechanismus finden, beispielsweise einen „Ältestenrat für die Verwaltung“, vergleichbar zum Ältestenrat im Bundestag. Der könnte sich um die Einhaltung dieser Indikatoren kümmern.

Das OZG als Lernerfahrung für die Zusammenarbeit im Föderalismus

Benedikt: Welche Strategien auf Bundesebene fallen Dir ein, die erfolgreich umgesetzt wurden und zu echter Veränderung geführt haben?

Sebastian: Ein Erfolgsbeispiel ist die Reform der Bundesagentur für Arbeit 2004, ausgelöst durch den Vermittlungsskandal. Die Einführung von operativen Zentren und regional gebündelter Antragserfassung, verbunden mit einer wirkungsorientierten Mittelverwendung, hat zu enormen Effizienzsteigerungen und einer Halbierung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung geführt. Durch die Fokussierung auf wirkungsorientierte Maßnahmen und den Verzicht auf wenig erfolgversprechende Umschulungen konnten Milliarden eingespart und die Arbeitslosigkeit gesenkt werden. Eine andere Erfolgsstory ist vielleicht sogar das Onlinezugangsgesetz (OZG). Auf den ersten Blick erscheint das kontraintuitiv. Aber ohne das OZG hätten wir 1.6 Mio. Implementierungsprojekte auf kommunaler Ebene gehabt. Da zeigt die unfassbare Masse an Verwaltungslandschaft da draußen - 11.000 Gemeinden, 575 Behördenleistungen, davon wahrscheinlich 120 bis 150 Gemeindeleistungen, heißt 11.000 mal 150 also ca. 1.6 mio. Nie im Leben wären wir so vorangekommen. Wir wären immer bei ein, zwei, vielleicht drei Prozent Breitenabdeckung geblieben. Es brauchte das OZG als Gesetz aus der Politik heraus als mutigen strategischen Schritt.

Benedikt: Aber es war auch ein sehr teures Gesetz. In der Theorie würdest du wahrscheinlich auch sagen, dass man das für zehn Prozent des Preises hätte machen können.

Sebastian: Oder zwei Prozent, absolut.

Benedikt: Ist das einfach die politische Realität? Dass man Abstriche am Ziel machen muss, wohl wissend, dass es auf dem Weg der Umsetzung sehr viel Verschwendung und Ineffizienz geben wird, um überhaupt voranzukommen?

Sebastian: Das Problem sind die “Heiligen Kühe”. Der Föderalismus ist halt eine “Heilige Kuh”. Menschen finden es leider wesentlich wichtiger, auf ihrer Autonomie zu beharren, als das Problem zu lösen. Deutschland schlachtet seine “Heiligen Kühe” erst, wenn es gar nicht mehr anders geht. Der Föderalismus vor dem OZG hat bedeutet, dass alle Akteure, egal ob Ministerpräsidenten oder kommunale Spitzenverbände oder Bürgermeister gesagt haben: Können wir selbst! Und da glaube ich wieder an Transparenz. Wenn die Bürger sehen und spüren, dass sie die Lösungen, die ihnen versprochen werden, nicht bekommen, machen sie Druck und daraufhin folgen Handlungen. Deswegen finde ich das OZG gelungen, weil es eben ein – zugegebenermaßen sehr teures – aber effektives Learning für die Zusammenarbeit im Föderalismus gebracht hat. Wenn ich mir jetzt beispielsweise die föderale Digitalstrategie anschaue, ist die Kooperationsbereitschaft der Akteure in den letzten fünf Jahren um den Faktor 100 gestiegen.

Bild: Jorge Royan, CC BY-SA 3.0

Benedikt: Fällt dir noch ein Beispiel ein?

Sebastian: Schau dir die Debatten zur Kindergrundsicherung an. Du müsstest eigentlich die Kindergrundsicherung mit einer Verwaltungsreform verbinden. In Ansätzen ist das angedacht, aber ich würde es sehr viel konsequenter machen. Da aber das Familienministerium, nicht das Sozialministerium die Federführung für das Gesetz hat, fehlen wichtige Kompetenzen und gute Ideen die es gar nicht ins Konzept geschafft haben. Eigentlich wünscht man sich doch “One face to the child”. Gemeint ist, dass alle Arten von Sozialleistungen, die in Richtung Kinder gehen, aus einem Guss gedacht sind, nicht nur das Finanzielle aus dem Hartz IV Topf, sondern auch Hilfen zur Erziehung, aus der Jugendhilfe und so weiter. Das bedeutet aber, du müsstest eigentlich SGB übergreifend unterschiedliche Anspruchsgrundlagen vor Ort in einer echten „Familien-Agentur“ zusammenziehen. Das ist bisher nicht passiert, weil Politik panische Angst vor Strukturreformen hat.

Mehr ministerienübergreifende Projektgruppen

Benedikt: Ralph Brinkhaus hat vorgeschlagen, die Strukturen in den Bundesministerien so zu ändern, dass der Bundestag politische Missionen vorgibt, die dann in Ministerien-übergreifenden Projektgruppen umgesetzt werden. Ist das die Lösung?

Sebastian: Ja, das wäre ein großer Schritt nach vorne. Das würde in der Verwaltung einen großen Unterschied machen. Oft hat ein Ministerium eine gute Idee, aber es fehlt an der nötigen Expertise zur Umsetzung, weil diese in einem anderen Ministerium liegt. Oder es wird ausgebremst, weil ein anderes Haus eifersüchtig eigene Zuständigkeiten bewacht. Deshalb glaube ich, dass wir weniger in klassischen Häuserstrukturen denken und stattdessen diese ministerienübergreifende Projektgruppen einsetzen sollten. Wenn das Wirkungsziel dann noch als Mission formuliert ist – „bitte bis dann & dann das & das erreichen!“ – umso besser. Aber die Frage ist, wie wir da hinkommen. Ich habe in den letzten Jahren immer wieder gesehen, bei Bund und Ländern, dass der Koalitionsvertrag zu Beginn einer Legislaturperiode wie ein großes Policy-Dokument behandelt wird, dessen Kapitelstruktur den Ministerien entspricht. Das Problem ist, dass die Ministerien einfach das Kapitel übernehmen, das zu ihrem Namen passt und anfangen umsetzen, was darin steht, ohne über den Tellerrand zu blicken. Da arbeitet das eine Ministerium am linken Vorderbein des Elefanten, ein anderes am rechten Hinterbein – und am Ende hofft man, dass alles zusammenpasst. Aber erst kurz vor Schluss stellen wir dann fest, dass da kein lebendiger Organismus herauskommen wird, sondern nur zusammengefügte Einzelteile.

Benedikt: Was heißt das für zukünftige Koalitionsverträge?

Sebastian: Es bräuchte klare Vorgaben, welche Ministerien oder Abteilungen für welche Missionen verantwortlich sind und wer eingebunden werden muss. Nachdem die Kabinettsliste verkündet ist, inklusive Staatssekretäre und Staatssekretärinnen, müsste eine Minute später eine Liste der Missionsteams veröffentlicht werden, Ministerien übergreifend besetzt – nur so hat man eine Chance auf Erfolg.

Benedikt: Müsste dann nicht auch die Aufbau- und Ablauf-Struktur der Ministerien insgesamt überarbeitet werden?

Sebastian: Absolut. Traditionell bestimmt jedes Ministerium selbst, wie es seine Ziele umsetzt, einschließlich der Nutzung von IT-Systemen und anderen Querschnittsfunktionen. Hier müsste man ansetzen und die Ressorthoheit so umdefinieren, dass zumindest die operativen Aufgaben wie IT, Personalmanagement oder Büroorganisation standardisiert und effizient verwaltet werden. Dies würde nicht nur zu Kosteneinsparungen führen, sondern auch die Verwaltung insgesamt schneller und effektiver machen. Ich würde mir wünschen, dass das Bundeskanzleramt innerhalb der Verwaltung strukturell mehr wie ein Konzernvorstand agiert. Dann gäbe es einen CIO, einen CTO und am besten auch einen CHRO, die übergreifend für alle Ministerien zuständig sind und an die berichtet werden muss. Ich bin mir sicher, dass das die Effizienz auf einen Schlag steigern würde.

Benedikt: Wo wir uns schon bei Strukturen aus der Privatwirtschaft befinden: Welche Rolle spielen denn allgemeine Managementfähigkeiten in den Ministerien?

Sebastian: In der Verwaltung gibt es häufig ein Problem mit der Auswahl von Staatssekretären. Statt Führungskompetenz zählt Parteiproporz. Dies führt dazu, dass Ministerien oft Personen an der Spitze haben, denen die Umsetzungserfahrung fehlt, die nie eine große Organisation geleitet haben. Ich bin dafür, eine überparteiliche Berufungskommission einzurichten, die Staatssekretäre nach klaren Kriterien auswählt. Eine solche Strukturreform könnte durch ein überparteiliches Projekt vorbereitet werden, ähnlich wie in den USA das „Transition Project“. Dabei müsste man auch direkt eine Geschäftsordnung für die Bundesregierung der Zukunft entwickeln, auch da brauchen wir dringend ein Update.

Benedikt: Vielen Dank für das Gespräch!

Ansprechpersonen

Agora Digitale Transformation Newsletter

Wer sich für unsere Arbeit interessiert, kann sich hier für unseren Newsletter eintragen.

* Pflichtfelder